Traktat über die Heilkunde
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Durch seinen überlegenen philosophischen Blick gelang es Hans Blüher schon in der Frühzeit der psychoanalytischen Bewegung deren innere Zugehörigkeit zur hippokratischen Schulmedizin zu erkennen. Ohne ihre vordergründige Effektivität zu leugnen, bestreitet er damit zugleich den Heilsanspruch der analytischen Psychologie, denn außerhalb der Entdeckungen Hahnemanns und Paracelsus' trifft diese Medizin höchstens zufällig das Wesentliche am Menschen: über jedem „psychologischen System“ steht die Freiheit. Die vorliegende Ausgabe entspricht der letzten vom Verfasser durchgesehenen und erweiterten Auflage. Die Kapitel im einzelnen: Der Abfall des Hippokrates von der Priestermedizin der Asklepiaden / Die Neurose als Heilige Krankheit / Metaphysik und Ethik / Die innere Geschichte der psychoanalytischen Bewegung / Der pathologische Ort / Autosuggestion und Einbildungskraft. Der Anhang enthält das zugehörige Kapitel „Theophrastus Paracelsus und Samuel Hahnemann als nobilitierende Genien der Medizin“ aus Blühers philosophischem Hauptwerk, der „Achse der Natur“. Leseprobe: Das Psychische ist ein von der modernen Wissenschaft geschaffener Begriff, und zwar ein Eliminat. Wenn ich das Psychische eines Menschen untersuche, so tue ich so, als ob er selber inzwischen nach Hause gegangen sei und morgen wiederkommt, um sich das Resultat abzuholen, genau wie bei einer Urinanalyse. 'Der Harn ist gerecht' sagt Paracelsus, und auch das Psychische ist gerecht. Ist jemand krank, so zeigt sich das immer zugleich im Psychischen wie im Physischen, aber es 'zeigt' sich nur dort; krank ist immer man selbst. Genau so, wie jenes Psychische, das den Gegenstand der Psychologie abgibt, ein Produkt dieser Wissenschaft ist, ein Eliminat, so sind es auch alle seine Teile. Der berühmteste ist die 'Sexualität'. Es ist ganz richtig, daß man dieses Wort gebildet hat; es ist künstlich und soll es auch sein, denn die ganze Wissenschaft ist künstlich. Ein der 'Sexualität' entsprechender Vorgang kommt in der Natur nicht vor. Das Ereignis, das hier angeredet ist, hat stets Hintergründe, von denen es begleitet wird, so notwendig wie der Schatten den Körper begleitet, und diese geben ihm erst die eigentliche Wucht, durch die er berühmt geworden ist. Nur deshalb, weil man vergaß (oder nicht merkte), daß der Sexualitätsbegriff der Freudschen Psychologie ein Eliminat ist, nur deshalb glaubte man, daß mit dieser Psychologie 'seelische Tiefen' ergründet worden seien. Die ganze Psychologie hat aber überhaupt nichts mit Tiefe zu tun, wenn man deren Begriff - und das können wir heute - philosophisch exakt nimmt. Ist also der Sexualitätsbegriff der analytischen Psychologie ein Eliminat, so folgt daraus, daß die verdrängte und als Neurose wiederkehrende es gleichfalls ist. Der Neurosenbegriff Freuds ist demnach ein Schematismus, und das muß so sein, denn alle Wissenschaft dieser Art (also zweiten Ranges) ist schematisch. Wenn man also hier in Bewunderung und gar Schwärmerei ausbricht, so kann das nur deshalb sein, weil es hier wieder einmal gelungen ist, ein Phänomen der Natur schematisch zu bannen, und das ist allerdings bewundernswert. Nur von Tiefe kann dabei keine Rede sein. Wie wir also - seit Cuvier - das Schema vordiluvialer Tiere aus einzelnen Knochen rekonstruieren können, ihnen selbst aber nicht mehr begegnen, so kennen wir den Schematismus der Neurose; wer diesen für die Neurose selber hält, kommt, obwohl sie alles andere ist als ausgestorben, leicht in die Lage, ihr nicht zu begegnen.