Geschönte Geschichten - geschonte Biographien
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Am Beispiel der Jurisprudenz veranschaulicht Bernd Rüthers den Umgang geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen mit ihrer eigenen Geschichte nach Systemwechseln und Verfassungsumbrüchen. Nach den zahlreichen Wechseln der politischen Systeme in Deutschland zwischen 1918 und 1990 sind regelmäßig 'Wendeliteraturen' entstanden, und zwar in allen humanwissenschaftlichen Disziplinen, nicht zuletzt auch in der Belletristik. Sie beschäftigen sich mit dem Aufstieg der neuen und/oder dem Niedergang der abgelebten Verfassungsordnung im Sinne der Legitimation oder der Kritik. Diese Wendeliteraturen werden zwar von einzelnen Autorinnen und Autoren geschrieben, oft von führenden Köpfen des jeweiligen Bereichs. Bei näherem Hinsehen erweisen sie sich jedoch regelmäßig als das Produkt und der Spiegel des Fühlens und Denkens von 'Sozialisationskohorten'. Das sind Gruppen, die durch gemeinsame prägende Erlebnisse, Erfahrungen und Systemeinflüsse zu übereinstimmenden Weltbildern, Empfindungen, Denk- und Urteilsmustern gelangen, mit der Konsequenz einheitlicher gesellschaftlicher und politischer Verhaltensweisen. Der Autor analysiert diese Zusammenhänge am Beispiel der deutschen Juristengenerationen nach 1933, 1945/49 und 1989/90. Es geht ihm dabei, mit zahlreichen Seitenblicken auf die Nachbarbereiche (Literaturstreit, zweifacher Historikerstreit, Rolle der sogenannten '68er), zugleich um den Nachweis, daß es sich bei diesem kollektiven Aspekt um ein bedeutsames Phänomen geistesgeschichtlicher Entwicklung handelt.