Menagerie : Tierschau aus der Sammlung Würth
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Wir kommen auf den Hund, weinen dicke Krokodiltränen, schimpfen wie Rohrspatzen, sind arm wie Kirchenmäuse, Hasenfüße oder Wölfe im Schafspelz, das Ganze wahlweise Wieselflink oder im Schneckentempo. Über Jahrhunderte, davon zeugt der Reichtum unseres verbalen Bestiariums war es für Literatur und Kunst eine kreative Herausforderung, das rätselhafte Spiegelverhältnis zwischen Mensch und Tier, die Sonderstellung zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vertrautheit und Fremdheit, zwischen frappanter Ähnlichkeit und markanter, undurchdringlicher Andersheit abzubilden, es zu beschreiben, auszuloten und spielerisch ins Phantastische zu steigern. So änderte sich unsere Vorstellung vom Wesen der Tiere von Epoche zu Epoche. Je deutlicher aber, unser auch wissenschaftlich angereichertes Wissen um unsere nahe Verwandtschaft zum Tier Kontur annimmt, desto größer ist auch die Skepsis gegenüber einer naturgegebenen Hierarchie der Arten und immer mehr Menschen finden in tierethischen Fragen ein Thema. Ist es da, fragt etwa der Französische Philosoph Jaques Derrida überhaupt noch richtig, vom Tier als im Generalsingular zu sprechen? Schließlich sei der Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse vermutlich in jeder Hinsicht geringer als der zwischen Grashüpfer und Wal. Unsere Vorstellungen über Tiere sind also kräftig in Bewegung geraten und während wir uns in unserem Alltag zwischen Grillwurst und Gassigehen eingerichtet haben, zeigen Künstler uns Tiere aus ihren bisweilen höchst ungewöhnlichen Perspektiven. Was sie mit den Tieren zweifelsohne gemeinsam haben, ist ihre immense Vielfalt, ihr geradezu unerschöpflicher Reichtum an Formen und nicht selten auch eine erstaunliche Rätselhaftigkeit. Und so finden sich mythologische Figurationen, Fabel oder Märchengestalten wie Drachen, Sphinxen, Melusinen, Chimären oder Minotauren ebenso zur „TIERSCHAU“ ein, wie Kühe, Schafe, Pferde, Hunde, Katzen, Tiger oder Mäuse. Manche stehen „wie es sich gehört“ auf der Weide, andere proben den Aufstand, besetzten Computer, wie zum Beispiel Flanagans Hasendenker, lümmeln wie bei Ungerer Zigarre rauchend in Chefetagen oder haben sich ihres Reiters entledigt, wie Paladinos Cavallo. Gerade so, als solle damit das Wunschdenken des österreichischen Literaten Elias Canetti eingelöst werden, der dereinst sinnierte: "Das schönste Standbild des Menschen wäre ein Pferd, wenn es ihn abgeworfen hätte“. In der Tierschau der Kunsthalle Würth darf es das. Wir haben kreuz und quer durch die Kunstgeschichte die Sammlung Würth nach ihren Tieren durchsucht und daraus und mit einigen Leihgaben die Fauna unsere Ausstellung zusammengestellt. Und die verspricht mit rund 150 Werken ein Sehvergnügen für die ganze Familie zu werden. Nebenbei gibt es auch eine Menge über die Menschen zu erfahren. Denn hat der Mensch über das Tier in der Kunst, sei es durch Abgrenzung oder umgekehrt, die Hervorhebung von Gemeinsamkeiten, nicht stets versucht, sich selbst zu deuten?